Hommage an eine Kunst am Rande
Ornamentik in der Kirche

Seit meiner Kindheit, als mein Vater die Fahrt in die Ferien vom Norden Deutschlands nach Österreich unterbrach, um der Familie die bedeutendsten Sakralbauten des Landes zu zeigen, habe ich Reisen unternommen, um Kirchen zu sehen. Für meinen Vater gab es nur Romanik und Gotik. Als gelernter Statiker konnte er uns durch seine Erklärungen fühlen lassen, welche Tonnen schwere Lasten auf den grazilen Säulen im Gleichgewicht gehalten werden. Er begeisterte sich für die großartige Erfindung des Gewölbes. In dieser Kunst sah er einen Gottesbeweis. Solche Werke konnten nicht nur durch die menschliche Intelligenz vollbracht worden sein. Als norddeutscher Protestant hatte mein Vater kein Verständnis für den Hochbarock. Fanden sich doch im Inneren dieser Kirchen unernste Himmelsszenarien voller dicker Putten und nicht tragende Säulen aus Holz, die, mit Marmorstuck ummantelt, den Betrachter betrügen. Einzig die Illusionsmalerei einer nicht existenten Kuppel konnte ihn beeindrucken. Über die Oper machte mein Vater sich lustig, obwohl er nie eine erlebt hat.

Anders als für meinen Vater blieb mir die gewaltige Veränderung der Kunst im Zuge der Gegenreformation nicht völlig fremd. In einer barocken Kirche reinen Stils sah ich mich in einen schwingenden Zustand versetzt, bewirkt durch Auflösung der Grenzen von Wand und Decke, vorne und hinten, oben und unten, dem tatsächlichen und dem gemalten Licht. Auch einer Anverwandten dieser Form von Gesamtkunstwerk, der Oper, begann ich anzuhängen.

Es war ein Opernbesuch im Bremer Goethe Theater, der am Anfang einer Reihe von Ereignissen stand, die mich schließlich zur ev. luth. Gemeinde nach Ganderkesee, einem Ort nahe Oldenburg, führten. Ich wurde von einem sehr guten Freund, Jack Marlow, Tontechniker am Theater und Sponsor meiner Musikleidenschaft, in die Oper eingeladen. Es gab Tschaikowskis "Pique Dame". Da er an diesem Abend das Stück technisch betreute, holte er mich im Foyer ab, führte mich in den zweiten Rang links und machte mich dort mit seiner Kollegin Fay bekannt. Fay, für die Betreuung der Zuschauer zuständig, wies mir einen Platz neben einem Mann zu, der wie ich allein gekommen war. Die Pause verplauderte ich mit Fay, und im Laufe des Gesprächs bewunderte ich ihre Halskette. Sie ließ mich die Perlen betrachten und klärte mich dann auf. Es handele sich nicht um eine Halskette, sondern um einen Rosenkranz, vom Papst geweiht. Auf meine neidvolle Frage, woher sie das schöne Stück hätte, deutete sie auf meinen Sitznachbarn, der in unserer Nähe stand, und stellte uns vor. So lernte ich Pfarrer Lach aus Ganderkesee kennen.

Nach Ende der Aufführung blieb man noch beisammen und geriet in ein offenes Gespräch, so dass ich von meinem Ausstellungsprojekt zu erzählen begann. Pfarrer Lach hörte zu und urteilte schnell. Seine Kirche sei sehr klein. Ich solle mich an seinen Freund und evangelischen Kollegen Pastor Dreyer wenden. Dieser sei mit einer schönen, großen, historischen Kirche betraut. Ich kannte die Kirche, hatte aber vieles nicht mehr vor Augen und sah sie mir erneut an: Viel Licht, schöne Farben, der Eindruck eines geschlossenen Stils und vier gewaltige, weiß verputzte runde Pfeiler. Eine formale und technisch realisierbare Idee kam mir sehr schnell: Bänder um die Pfeiler.

Ich verabredete mich mit Pfarrer Lach und erhoffte mir von ihm, dass er mein Komplize in der Entwicklung der klügsten Überredungsstrategie sein könnte, zur Erlangung der Erlaubnis, Kunst in der Kirche seines Kollegen machen zu dürfen. Kurz nachdem ich im Büro des katholischen Pfarrhauses Platz genommen hatte, betrat Pastor Dreyer den Raum. Zu meinem Erstaunen hatte Pfarrer Lach ihn gleich hinzugebeten. Die Herren blätterten in meinen Katalogen, hörten sich meine Vorschläge an, und auf diese Weise war ich an Pastor Dreyer weitergereicht, der mich freundlich ohne große Umstände zur nächsten Sitzung des Kirchenrats einlud, um die Sache unter Dach und Fach zu bringen. Und so geschah es. Nachdem ich vortrug, dass ich mit eigenen Finanzen ausgestattet sei, dem Denkmalschutz genügen würde und alles ohne Nägel oder Schrauben befestigen könnte, erhielt ich ein einstimmiges Ja zu meinem Projekt.

Ich begann mit der Arbeit. Als Malgrund für meine Installationen stellte ich Papier her. Ich spannte Nessel auf einen großen Rahmen und leimte Seidenpapier in fünf Lagen darauf. So erhielt ich eine Oberflächenstruktur, die sich dem Putz, auf dem die Bänder später auflagen, annäherte. Oberflächlich betrachtet hätte man die Pfeiler für bemalt halten können. Auf die Rückseite klebte ich oben und unten eine durchlaufende Schlaufe aus Nessel, durch die ich später die breiten Gummibänder fädelte, die die Bänder unsichtbar um die Pfeiler spannten. Beim Maßnehmen der vier Pfeiler stellte sich heraus, dass der dickste zum dünnsten eine Differenz von 16 cm im Umfang hatte. So musste ich für jeden Pfeiler mit einem anderen Maß zur Rapportberechnung arbeiten. Die Bänder haben eine Länge um die 4 m und eine Breite von 60 cm. Für die Installationen in den Nischen klebte ich das gleiche Papier auf eine ausgeschnittene Tischlerplatte. Die Bildtafeln wurden dann auf in den Nischen eingespannte Leisten aufgehängt. Gemalt habe ich mit sehr stark verdünnten Ölfarben ohne Schichtungen, so dass der Auftrag eher einer Aquarellmalerei ähnelt.

Zur Eröffnung der Ausstellung an einem Sonntag nach dem Gottesdienst betraten Kunstinteressierte St. Cyprian und Cornelius in Ganderkesee. Anstatt einer Eröffnungsrede war die Arp-Schnitger-Orgel zu hören. Die Besucher bewegten sich flanierend im Kirchenraum. Sie unterhielten sich. Durch die schwebenden, leisen Improvisationen, die der Organist auf dem wunderbaren Instrument spielte, war dem Raum, nun gefüllt vom Klang der Farben und der Töne, ein weiterer Zauber gegeben. Einige Besucher bedauerten, dass die Installationen nicht von Dauer seien. Aber hier ähnelt die Festarchitektur der Musik. Zeit ist der Rahmen, in dem sie stattfindet.

Susanne Bollenhagen (gekürzter Katalogtext 2003)