Seit vielen Jahren erkundet Susanne Bollenhagen die Ornamentik in den verschiedenen Kulturen der Welt. Sie studiert die Ornamentformen in einschlägigen Publikationen und an den Exponaten vieler Museen, an Möbeln, Geschirr, Stoffen, Teppichen, Schmuck und anderem, aber vor allem dort, wo die Ornamente am direktesten ihre Wirkung entfalten, in der Architektur, auf Fußböden, Wänden, Säulen von Kirchen, Schlössern und Bürgerhäusern.
Das Ornament gehört zu anderen Zeiten, zu anderen Kulturen. Es existiert in der zeitgenössischen westlichen Kultur nicht mehr. Die Ornamentik, etwas abschätzig der Kategorie der "angewandten" Kunst zugeordnet, ist interessanterweise ein Thema für eine Reihe von zeitgenössischen Künstlern. Beispielsweise verwendet der österreichische Künstler Peter Kogler technoide Motive als Rapport seiner raumfüllenden Strukturbilder. Auch der amerikanische Konzeptkünstler Sol LeWitt, der vielfach serielle Strukturen und deren systematische Variationen entwickelte, hat in seinen Photoarbeiten die Welt der Ornamente entdeckt. Vielleicht sind die Ornamente ein alter ego der "freien" Kunst der Moderne und Nachmoderne, deren Autonomie nicht nur Ungebundenheit bedeutet, sondern auch eine Last sein kann. Susanne Bollenhagen hebt die Ornamente aus den konkreten kulturellen Zusammenhängen heraus. Sie isoliert und aktualisiert die formalen und inhaltlichen Aspekte auf grundsätzliche Weise, wobei sie sowohl Vorlagen "zitiert" als auch neue Motive entwickelt.
Eine Aquarell-Serie hat das Mandala-Ornament als eine Sonderform des quadratischen Rapports zum Thema. Das Ornament entwickelt sich aus dem Mittelpunkt des Bildquadrats. Aus dem Zentrum heraus quellen und spalten sich die Elemente oder werden in diesen Punkt hineingesogen: ein Dialog zwischen Mitte und Rand, Innen und Außen, gehalten von den Zwickeln in den vier Ecken.
Indem Susanne Bollenhagen die Grundeinheit, den Rapport, in ihren Aquarellen isoliert, wird das Ornament wieder in seiner ursprünglichen Bildhaftigkeit deutlich. Das Ornament "Affe" zeigt fast realistisch die mageren Füße, die verbunden mit expressiven Schlangenlinien wendige Bewegungen andeuten. Die Orientierung auf das Zentrum suggeriert ein enges Zusammenhocken. Die Zwickel symbolisieren die Außenwelt, dazwischen bildet sich ein Verhaltensraum. Auch das Ornament des wehrhaften "Hirschen" oder der vielarmigen "Sepia" verkörpern das Typische dieser Tiere. Die Ornamente wirken beinahe pantomimisch. Sie appellieren an die Bewegungs- und Energieerfahrung des Betrachters. Andere Formen können als Inbegriff der Rundheit gelten, der "Knopf", das "Auge", der "Stern", die "Spirale". Je nach Gegenstandsassoziation ruhen sie in sich oder sind bewegt.
Die Einzelbilder sind zu Tableaus zusammengestellt, die ein vergleichendes Sehen ermöglichen. Form und Struktur, Ähnlichkeit und Variationsvielfalt bei der Mandala-Form treten vor allem deshalb deutlich zutage, weil sich Susanne Bollenhagen in der Wahl der Farben beschränkt hat. Für fast alle Beispiele gilt: rot, blau und weiß die Formen, gelb der Hintergrund. Obwohl die Farben in verschiedenen Abtönungen verwendet werden, sind sie doch auf einfachste Weise geeignet, den Wechsel von Kalt und Warum, von Ferne und Nähe im bildhaften Ausdruck zu veranschaulichen.
Auch wenn die Mandala-Ornamentik auf Geometrie, auf abstrakten Transformationen durch Teilung, Drehung und Spiegelung beruht, wirkt sie doch äußerst konkret und direkt. In ihr ist ein permanentes Umkippen zwischen stilisierter Gegenständlichkeit und abstrakter Form am Werk. In der Isolierung der "Typen" verleiht Susanne Bollenhagen jedem einzelnen Bild eine Aura der Einmaligkeit. Im Geiste können wir jedes von ihnen endlos vervielfältigen zu Bändern und Flächen und damit das Einzelmotiv in die Anonymität des Musters verschwinden sehen.
Dr. Eva Schmidt, Direktorin des Museums für Gegenwartskunst Siegen (Katalogtext 2005)